INTERVIEW SPUTNIK 2018

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Schon seit frühester Jugend fühlte sich Kian Kermanshahi zum Islam hingezogen. Bald radikalisierte er sich. Schnell baute er Kontakte zu dschihadistischen Organisationen auf und wurde einer der Organisatoren für den anti-israelischen „Quds-Marsch“ in Berlin. 2014 kamen erste Zweifel, 2017 dann sein Ausstieg. Darüber sprach er exklusiv mit Sputnik.

n seinen Jugendjahren war der Deutsch-Kurde Kian Kermanshahi sehr der sufischen Schule, also dem mystischen Zweig des Islam, zugeneigt. Schnell jedoch radikalisierte sich seine Einstellung. Bald orientierte er sich an extremen schiitischen Strömungen, wie sie im Iran zu finden sind. „Politisch richtete sich Kermanshahi ganz nach dem Geist der islamischen Revolution des Iran aus“, schreibt der Blog „ReligionsKritikIslam“ über den Islamismus-Aussteiger. „Kontakte zur iranischen Botschaft wurden gepflegt.“

Er erhielt das Angebot, als hauptverantwortlicher Organisator für den alljährlich in Berlin stattfindenden anti-israelischen „Quds-Marsch“ (auch „Al-Quds-Tag“ genannt) tätig zu werden. „Später wurde Kermanshahi Mitorganisator der alljährlich von Ayatollah Khomeini ausgerufenen internationalen Quds-Demonstration (‚Jerusalem Tag‘) in Berlin“, schreibt der Blog weiter. 2014 setzte dann ein Gesinnungswandel bei ihm ein. 2017 verließ Kermanshahi endgültig den Islam. Über die Hintergründe seines Ausstiegs gab er Sputnik ein exklusives Interview.Herr Kermanschahi, vielen Dank für das Interview. Wo befinden Sie sich aktuell?

In London, hier habe ich meinen Lebensmittelpunkt.

Für welche dschihadistischen oder islamistischen Organisationen hatten Sie früher gearbeitet? In welcher Funktion? Von wann bis wann? Sie haben auch die „Al-Quds-Demonstrationen“ in Berlin immer mitorganisiert?

Ja, ich habe mindestens zehn bis 15 Jahre lang die Berliner „Quds-Demonstrationen“ mitorganisiert. Ich habe jetzt konkret keiner islamischen Bewegung angehört. Ich habe aber ganz stark mit der iranischen Revolution im Islam sympathisiert und natürlich auch mit der Hisbollah (radikal-schiitische und paramilitärische Partei im Libanon – Anm. d. Red.), hinter der ich ideologisch, politisch und religiös zu 100 Prozent gestanden habe.

Was für Tätigkeiten haben Sie für diese Organisationen ausgeführt?

Ich war nirgendwo Mitglied, habe für keine Organisation im Namen dieser Organisation gearbeitet, ich bin auch nicht beauftragt worden. Ich habe einfach sympathisiert mit dem Iran, mit der islamischen Revolution und mit der Hisbollah. Da war keine Mitgliedschaft – und niemand hat mich beauftragt, irgendetwas zu tun oder zu machen. Das war alles freiwillig.

Inwiefern konnten Sie Einblicke in islamistisch geführte Gruppen oder Organisationen gewinnen?

Wenn man Schiite ist und wenn man sich treu hinter die islamische Revolution stellt – und wenn man mit Befreiungsbewegungen, wie die Hisbollah dargestellt wird, sympathisiert –, dann lernt man schnell Menschen kennen, die zum Beispiel aus dem Libanon kommen und mit dieser Organisation ganz viel zu tun haben. Die Abgesandte sind, die auch im Libanon für die Hisbollah gekämpft haben, im militärischen Einsatz. Da kommt man ganz schnell in Verbindung, wenn man sich in solchen Kreisen bewegt.

Was war besonders beeindruckend oder erschütternd in diesem Bereich für Sie?

Als ich noch religiös war, gab es für mich keine erschütternden Momente. Jedes Mal, wenn ich jemanden kennengelernt habe, der zum Beispiel sogar Mitglied der Hisbollah war, dann haben meine Augen geglänzt. Das waren für mich „Heroes“, also Helden. Ich bin in solche Kreise reingekommen, wo ich Kazem Darabi (iranischer Hisbollah-Terrorist – Anm. d. Red.) kennenlernen durfte, der in Berlin das „Mykonos“-Attentat (im Jahr 1992 – Anm. d. Red.) verübt hatte. Der auch von der Staatsanwaltschaft in Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, weil er dort im Restaurant kurdische Oppositionelle ermordet hat.Ja, man kommt ganz schnell in die Kreise, dass man auch mit Botschaftsangehörigen des Irans zu tun hat und auch solchen, die zur Persona non grata erklärt worden sind, wie Mohammed Chamin, der auch der Berater von Ahmadinedschad war. Der war eine ganze Weile in Deutschland. Der hat bei mir übernachtet. Solche Leute lernt man kennen.

Haben Sie etwas mitbekommen vom hierarchischen, organisatorischen oder auch personellen Aufbau dieser Organisationen? Wo kommt das Geld her? Wie wird rekrutiert?

Kian Kermanshahi 2006 auf Pilgerfahrt in die “heilige Stadt” Mashad, Iran
Kian Kermanshahi 2006 auf Pilgerfahrt in die “heilige Stadt” Mashad, Iran

Wenn man sich in solchen Kreisen bewegt, dann lernt man mit der Zeit Leute und Menschen kennen, die sagen: „Ich bin bei der Hisbollah, ich bin Abgesandter aus Beirut und ich komme direkt von Scheich Nasrallah (Hisbollah-Generalsekretär – Anm. d. Red.). Meine Aufgabe ist es, die schiitischen Gemeinden zu betreuen, zu schauen, ob es dort Potential gibt, die Sympathien für die Hisbollah auszubauen.“

Aber ich hatte nicht sehr viel mit denen zu tun. Ich war einfach nur jemand, der gesagt hat: Das ist eine Befreiungsbewegung, die kämpft gegen Israel, die sucht den Dialog im Libanon mit den anderen religiösen Minderheiten. Das war für mich eine Blümchenzeit.

Was glauben Sie: Warum fühlen sich so viele Menschen, junge Studenten, auch aus dem Westen, so fasziniert vom radikalen Islam, vom Islamismus, vom Dschihadismus?

Das ist ganz einfach. Der Islam kommt als Gesamtpaket. Er gibt spirituelle Sicherheit, spielt auf die größten Ängste der Menschheit an: Furcht vor dem Tod, Furcht vor dem, was danach kommt. Er hat gleichzeitig auch ein soziales Konstrukt. Das heißt, er bietet auch Gemeinschaft an, Geborgenheit.

Der politisch-religiöse Islam hat auch einen geregelten Ablauf. Das heißt, man hat Spielregeln, an die man sich halten kann, man fühlt sich sortiert, man fühlt sich organisiert, man hat einfach das Gefühl: Hey, da ist eine Basis, auf die ich bauen kann und die mir ganz viel Sicherheit gibt. Das wird alles noch schön verpackt in einen Blümchen-Islam, der extrem apologetisch ist. Wo alles als sehr perfekt beschrieben wird, als ausgezeichnet, elementar richtig. Das wird natürlich von vielen Jugendlichen, vielen jungen Menschen zum Beispiel auch aus zerrütteten Familien, angenommen. Ich habe selten Konvertiten erlebt, die nicht aus kaputten Familien gekommen sind und die ganz besonders den Islam dann als angenehm gefunden haben, weil sie dort Maßregelungen, Organisation und geistige Heimat gefunden haben, die sie in ihrer Familie nicht gefunden hätten.

2014 sind Sie ausgestiegen. Was war der Grund? Und wie haben Sie das praktisch umgesetzt?

2014 bin ich nicht ausgestiegen, ich habe 2014 meinen Reformkurs angefangen. Das heißt, ich habe diverse islamische Konzepte und Dogmen infrage gestellt, aber aus der Muslimperspektive. Ich habe gesagt: An diese Dogmen kann ich nicht mehr glauben. Also Todesstrafe für Apostasie und Verfolgung von Homosexuellen, und auch diese ganzen radikalen Lehren innerhalb meiner Sekte.

Ich wollte als Muslim sehen, ob ich innerhalb der Religion Ideen oder Reformansätze finde, Reformer, die ein besseres Konzept haben. Ich habe mich erst mal als Muslim aufgemacht, bessere Ideen innerhalb des Islams zu finden und habe dann zwischen 2014 und 2017 einfach gemerkt: Je mehr ich meine Nase da reinstecke, desto schlimmer trifft mich die Realität dieser Religion.

Wie ging es dann weiter?

Weiter ging es so, dass ich ab 2014 meinen ersten Blog im Internet aufgemacht habe, wo ich die Reformansätze angeboten habe, was man im Islam besser machen kann. Dann habe ich natürlich auch über Facebook weiter gebloggt und habe mich „Schia-Reformist“ genannt oder „Muslim-Reformer“. Das lief aber nicht besonders gut. Von meiner Community kam eigentlich zu fast 100 Prozent nur Ablehnung, teilweise Hass. Es eskalierte dann auch in Bedrohungen, in Rufmord, im Fabrizieren von Gerüchten – und das ist nicht gut angekommen. Aber: Bei mir ist es gut angekommen.

Sie schreiben auch islamkritische Texte auf Ihren Blogs. Wie reformierbar ist der Islam überhaupt?

Ich glaube, dass der Islam nur unter einem Aspekt reformierbar ist: Und zwar, wenn die Muslime davon abrücken, dass der Koran das unverrückbare Wort Gottes sei. Solange man glaubt, dass es eine vollendete, perfekte Religion ist, finden auch keine echten Reformen statt. Jeder Reformer im Islam ist gestalkt (belästigt – Anm. d. Red.) worden: verfolgt, getötet, kritisiert, eingesperrt, unter Hausarrest gestellt worden.

Wirkliche Reformer leben absolut ungesund und gefährlich. Es gibt keine Reform. Es gibt Leute wie Bassam Tibi oder Abdel-Hakim Ourghi, die in Deutschland versuchen, die Fundamente und die Glaubensüberzeugung dieser Religion anzutasten. Und das ist auch richtig so! Aber das ist dann keine Reform mehr, das ist eine Umänderung der Religion.

Wenn das gelingt – wunderbar! Dann haben wir einen gemäßigten Islam, der seine ganze Sprengkraft verloren hat. Und wenn das nicht gelingt – und ich bezweifle, dass es gelingt – dann bleibt der Islam so, wie er ist.

Wissen Sie, wie stark die Strukturen, für die Sie gearbeitet haben, heute noch in Deutschland und vielleicht europaweit sind? Oder entzieht sich das Ihrer Kenntnis?

 

Ich widerspreche dem Verfassungsschutzbericht, ich widerspreche den iranischen Exilanten, die immer wieder sagen, dass die Imam-Ali-Moschee (eine solche steht in Hamburg – Anm. d. Red.) da mit involviert ist. Das ist absoluter Quatsch. Es ist noch nicht mal der Iran dahinter involviert. Das war er mal vor 25 oder vielleicht 30 Jahren, ganz in der frühen Zeit. Aber dann ist die Organisation der „Quds-Demonstration“ übergegangen auf eine Gruppe, unter anderem war ich Mitglied dieser Gruppe. Und wir haben völlig unabhängig und manchmal auch diametral zu dem Willen der islamischen Regierung im Iran die „Quds-Demonstration“ durchgezogen. Manchmal gab es sogar Widerstand seitens der Botschaft, vom islamischen Zentrum in Hamburg, wenn wir den Kurs dieser „Quds-Demonstration“ abweichend gestalten wollten.

Es gibt keinerlei ideologische Beeinflussung vom Iran, auch wenn der Iran das gern möchte. Und das wurde in der Vergangenheit auch oft versucht. Aber die Organisatoren sind sehr unabhängig geworden mit der Zeit.

Zuletzt kam eine Meldung, dass die deutsche Konvertitin Sarah O. aus Süddeutschland sich vor einigen Jahren dem IS als „IS-Mädchen“ angeschlossen und im Irak gedient hat. Wollen Sie etwas zu diesen islamisierten Mädchen sagen?

Wir haben den Trend, dass aus ganz Europa, eigentlich aus der ganzen Welt, Konvertiten in den Islamischen Staat (IS) gegangen sind. Der Islamische Staat ist mittlerweile zusammengebrochen. Und die Konvertiten, die jetzt noch dort geblieben sind, wollen alle verzweifelt zurück. Die Ernüchterung war wahrscheinlich recht schnell gekommen, als man gesehen hat, wie brutal der IS mit seinen eigenen Leuten und mit Menschen anderer Konfessionen und Ideologien umgegangen ist.

Wenn Sie mich fragen, wie man mit diesem Mädchen juristisch umgehen soll, dann sollte man sie vor ein Gericht stellen. Sie ist nämlich in ein terroristisches Gebilde eingewandert – wir wollen gar nicht davon sprechen, was Ihr Ehemann und sie selbst dort angerichtet haben. Es gibt in England einige hunderte Fälle von Konvertitinnen aus Somalia, die in England geboren sind und die an Exekutionen teilgenommen haben.

Es muss untersucht werden, welche Rolle hat Sarah O. dort gespielt. Und selbst wenn sie dann wieder zurückkommt – ich weiß nicht, ob sie schon zurück ist – dann muss man sie beobachten. Bestenfalls muss man sie juristisch dafür belangen, was sie getan hat, nämlich dass sie in einen Terrorstaat eingewandert ist und an Mord und religiöser Vertreibung dort mit teilnahm.

Islam-Kritiker und Autor Kian Kermanshahi ist ein in Deutschland geborener Kurde. Seit 2014 publiziert er – in Online-Blogs und auch auf seiner Facebook-Seite – islam-kritische Texte und Analysen. Dabei arbeitet er mit verschiedenen Organisationen, ex-Muslimen und Aussteigern zusammen, die wie er die radikale Dschihad-Szene verließen.

Radio Interview Kian Kermanshahi

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